Darf man den Stadtwanderweg 9, der durch den Wiener Prater führt, überhaupt als „Wanderweg“ bezeichnen? Wer diese Strecke noch nicht selber gegangen ist, der verdreht die Augen und meint, auf diese Frage die richtige Antwort zu wissen: Natürlich nicht – denn nachdem dort gerade mal 65 Höhenmeter zurückgelegt werden, ähnelt die Aktion mehr einem Spaziergang als einer Wanderung. Wer die Strecke aber selbst gegangen ist, der weiß: Eine schöne Zeit hat man dort auf jeden Fall – und abseits der Hauptallee fühlt sich das gesamte Erlebnis sogar ein wenig wie richtige Natur an.
Ad Anreise/Länge/Ausrüstung: Optimal eignet sich der Stadtwanderweg 9 für ein Durchlüften des Hirns nach einem harten Arbeitstag – das bietet sich allein schon wegen der guten Erreichbarkeit an, zumal die Strecke am Bahnhof Praterstern beginnt und endet. Zu bedenken gibt es dabei allerdings, dass die Stadt Wien für diese 13 Kilometer lange Wanderung eine Dauer von drei bis vier Stunden vorsieht – ich habe zwar nur zweieinhalb Stunden gebraucht, bin aber recht zügig gegangen; trotzdem musste ich einen Teil der Strecke im Dunkeln zurücklegen. Die Wege abseits der Hauptallee sind meist nicht beleuchtet. Es ist daher ratsam für diese Wanderung eigenes Licht (Taschenlampe oder zumindest ein voll aufgeladenes Handy) mit sich zu tragen, um den Weg zu beleuchten, wenn man die Strecke after-work zurücklegen möchte. Die gute Nachricht ist hingegen, dass die ebene Strecke mit ihren teils – aber nicht immer – asphaltierten Wegen auch im Büro-Outfit, also mit Anzugschuhen, absolviert werden kann.
Das Highlight dieser Wanderung ist ohne Zweifel die Erkenntnis, dass es auch im Wiener Prater einige unentdeckte Juwelen und einsame Ecken gibt. Wildlife gibt es kaum (außer Moskitos), dafür kann man so manches skurrile Exemplar des Homo Wieneriensis beobachten – etwa, wenn man auf den abgeschlagenen Pfaden plötzlich von einer Horde Segway-Fahrer überholt wird.
Streckenführung: Führen die ersten paar Meter noch entlang der Hauptallee, so kommt man bald auf eine etwas weniger frequentierte Strecke, die vorbei an einem Sportverein führt und dann am Lusthaus am Ende der Hauptallee endet (siehe 360-Grad-Foto unten). Danach fängt das Abenteuer aber eigentlich erst wirklich an: Über ein kleines Loch im grünen Dickicht betritt der mutige Wanderer einen einsamen Weg, an dem sich außer ihm keine Menschenseele findet – dafür aber Horden an Moskitos. Für After-Work-Wanderer ist dies auch der Zeitpunkt, an dem sich die Dunkelheit ausbreitet; kurz darauf erreicht der einsame Abenteuer eine kleine Kirche, die eine schaurige Mystik ausstrahlt und den meisten Wienern gänzlich unbekannt sein dürfte (siehe Foto oben in der Slideshow). Danach wird die Hauptallee überquert, und das nächste Stück Wildnis wartet, wieder geht es entlang des Wassers bis zu einer Bootsvermietung. An dieser Stelle überquert man erneut die Hauptallee, überschreitet die Gleise der Lilliput-Bahn und landet wieder im Wald – wer after-work wandert, der tappt hier bereits durch vollkommene Dunkelheit und dürfte sich teils sehr orientierungslos führen. Die Erlösung kommt schließlich, wenn der Vergnügungspark sich plötzlich aus der Dunkelheit erhebt. Ab hier geht es geht es vorbei an der Pratersauna und dem Schweizergarten… Falls Ihr Euch gefragt habt, was bei dieser Wanderung die Möglichkeiten zu Einkehren sind, dann habt Ihr hier Eure Antwort: Es ist der fucking Prater, oida. Einkehren ist der Primärnutzen dieser Gegend.
Fazit: Obwohl die Schwierigkeit des Standwanderweg 9 nicht mit anderen Wanderungen vergleichbar ist, bietet er sich als wundervolles After-Work-Alltagsabenteuer an, um nach zehn Stunden im Bürosessel mal die Bandscheiben ordentlich durchzulüften. Wer weniger sportlich ist, der kann ja auf die Bewegung pfeifen und direkt die Abkürzung ins Schweizerhaus nehmen.
Details der Strecke könnt Ihr wie immer der untenstehenden Karte entnehmen.