Wohnen in Bombay ist teuer, und gute Wohnungen sind schwer zu haben – nicht sehr viel einfacher wird die Situation für urbane Business-Nomaden, die von Ort zu Ort reisen, um permanent auf der Suche nach dem nächsten Kulturschock zwar nirgendwo sesshaft zu sein, aber überall eine Antwort zu suchen. In anderen Städten gibt es Orte für solche Menschen – etwa das Jaaga in Bangalore oder das Moonlighting in Delhi -, aber ausgerechnet in der Business-Metropole Bombay finden sich keine Co-Living-Spaces für die selbständige Wissensarbeiter-Generation des 21. Jahrhunderts. Und als ich das dritte Mal in die hektische Großstadt zurück kehre, rätsle ich: In das katholische Zuhause, in dem ich mich im Dezember eine Bleibe gefunden habe, ist aktuell kein Platz für mich; und in ein Hotel – wie bei meiner Ankunft zu Beginn dieser Reise – möchte ich auch nicht ziehen… was also tun?
Die Antwort gibt ein Pathologe. Am Flughafen von Trivandrum hatte ich mir noch ein paar Comics von ACK gekauft – in diesen werden in bildlicher Form indischen Kindern hinduistische Mythen nahe gebracht. Mein Sitznachbar im Flugzeug fragt freundlich, ob er sich ein Exemplar der „Gita“ ausleihen kann, und so sitzen wir nebeneinander: Er liest über die Weisheiten Krishnas rund um Dharma und Yoga, während ich mich über Kali informiere, die ja im Ashram mein Ego hätte zerstören sollen – ein vergeblicher Versuch.
Nach der Lektüre kommen wir ins Diskutieren: Die Gita, so mein Sitznachbar, lässt sich in Comicform schwer darstellen, denn es handelt sich ja eigentlich bloß um einen Dialog zwischen zwei Protagonisten – kriegerische Epen, wie etwa die „Ramayana“ rund um Dämonen, eine hübsche Frau und eine Affenarmee, geben da schon deutlich mehr her. Ich gebe ihm Recht, und er stellt sich vor: Er sei Pathologe und arbeite in einem Krankenhaus in Bandra. „Interessant, dort habe ich auch ein paar Wochen gelebt“, sage ich. Und nach kurzem Zögern frage ich ihn, ob er zufällig jemand kennt, der günstig ein Zimmer in Khar zu vergeben hat Er willigt ein, sich umzuhören.
Am nächsten Tag erhalte ich eine SMS von meinem Flugzeug-Sitznachbarn: Freunde vergeben eine Wohnung – zwar nicht direkt in Bandra, aber in Khar West, welches gleich an den hippen Vorstadt-Bezirk angrenzt. Ich rufe den Kontakt an und frage nach der Miethöhe: „Erst müssen sie sich die Wohnung ansehen und zusagen“, sagt er: „Dann sage ich Ihnen, wie viel sie kostet.“ Etwas ungewöhnlich, aber das Absurde ist in Indien ja normal. Also fahre ich nach Khar – dort komme ich eine Stunde zu spät an, weil ich in den falschen Zug gestiegen bin. Doch auch dies wird in Indien problemlos akzeptiert – der Verkehr kann als Entschuldigung für alles herhalten.
Die Wohnung ist schön: 30 Quadratmeter, Erdgeschoss, Marmorboden; mit Küche, Bad, Schlafzimmer, Wohnzimmer, Satellitenfernsehen. Ich könnte sie für mich alleine haben, also selbständig eine Wohnung haben und das indische Mittelklasse-Leben in Khar West leben – täglich kommt eine Putzfrau, die sogar mein Geschirr für mich abwäscht. Warum also nicht? „Wenn Sie zusagen, dass sie die Wohnung nehmen, fragen wir in der Nachbarschaftsgemeinschaft um Erlaubnis“, sagt mein zukünftiger Vermieter: „Anschließend können wir Ihnen den Mietzins mitteilen und alles fixieren.“ Ich versichere, dass ich ein braver katholischer Junge bin und abends niemals ausgehe. Ich rauche nicht, trinke nicht und esse kein Fleisch – Indien ist ein Land der Opportunisten, und in dieser Hinsicht habe ich mich schon recht gut angepasst.
Am Abend dann ein Anruf: Ja, die Gemeinde hat zugestimmt; ich kann die Wohnung haben. Hurra. Als ich schließlich zur Schlüsselübergabe komme, gibt es nur noch eine Kleinigkeit: Ich muss ein Schreiben unterzeichnen, dass ich bloß temporär hier lebe und ein Freund seiner Tochter bin, die in den USA studiert. Eine Mithilfe zur Steuerhinterziehung also. Ich erwarte nicht, dass ich für meinen Mietzins – der höher ist als bei einem langfristigen Mietverhältnis, aber weit billiger als ein Hotel – eine Rechnung erhalte. Aber wenigstens habe ich jetzt ein Dach über dem Kopf.
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[…] ist die äußere Grenze des 17. Bezirks noch immer näher am Stephansdom als der Bahnhof von Khar-West – und zweitens lässt sich das Einkehren in dieses Etablissement mit einem anderen spannenden […]