Flucht und Migration bedeuten nicht nur ein Überleben in fremder Umgebung und ein Annehmen der dortigen Sitten und Bräuche; es bedeutet auch, die eigene Kultur aufrecht zu erhalten und an die Nachfahren weiter zu geben, auf dass diese sich ihrer Wurzeln bewusst sind. Dies haben die Russland-Deutschen getan: Menschen, die im 18. und 19. Jahrhundert an die Wolga gesiedelt und im Laufe der letzten Jahre nach Kaliningrad (früher: „Königsberg“) weiter gezogen sind, haben das Wissen stets an die Nachfahren weiter gegeben. Selbige fühlen sich zwar heute als Russen, treffen sich aber gerne, um sich über die Kultur ihrer Vorfahren auszutauschen.
Dies geschieht unter anderem im „Deutsch-Russischen Haus“ in Kaliningrad. Hier waren wir gleich am ersten Tag unseres Aufenthalts zu einer Weihnachtsfeier eingeladen. Ein Unterhaltungsprogramm gab es am ganzen Abend: größtenteils wurden – mit einem für unsere Ohren sehr fremd wirkenden Akzent – deutsche Weihnachtslieder gesungen, zudem – von Teilnehmern, der Vorfahren wohl aus Friesland kamen – ein Tanz mit Holzschuhen vorgeführt und es gab eine Wahl zur „besten Speise des deutschen Sprachraums“.
Zum Zweck der Wahl wurden von Präsentatorinnen Zander, Dorsch und – als Vertreter der österreichsichen Küche – Strudel in den Saal getragen. Das Publikum applaudierte den einzelnen Speisen voller Begeisterung, während ich weiter an meinem Vodka nippte. Kaum setze ich das Glas ab, schenkt mir mein Nachbar schon wieder nach. „Mit halb leerem Glas stößt man nicht an,“ sagt er. Oh je, oh je… während ich mich in Gespräche vertiefe und gleichzeitig vor mir drei Gläser – Vodka, Glühwein und Wasser – stehen habe, kostet sich eine Jury durch die besten Speisen und kürt einen Gewinner – die frohe Kunde für Österreich: der Sieger heißt Strudel.
Die Herzlichkeit in der Runde – die Musik, die Speisen, der Vodka – war bezaubernd; ich habe so etwas lange nicht mehr erlebt, fühlte mich richtig wohl und werde bei meinem nächsten Besuch sicher in das Haus zurück kehren. Frage ist: warum gibt es etwas Vergleichbares eigentlich nicht für die Numerus-Klausus-Flüchtlinge in Wien?