Auf meiner Rückreise von Riad nach Wien hatte ich neun Stunden Aufenthalt in Istanbul. Und obwohl ich nur vier Stunden mehr schlecht als recht im Flugzeug geschlafen hatte, wollte ich mir eine Besichtigung nicht nehmen lassen – schließlich hatte ich mal ein starkes Naheverhältnis zu der Metropole am Bosporus, als ich sie von 2001 bis 2004 ganze zwölf Mal besucht hatte. Dort kenne ich mich aus; und unbedingt wollte ich sehen, was sich in den vergangenen Jahren getan hat, welche Spuren der Status der Europäischen Kulturhauptstadt hinterlassen hat. Die drei schönsten Erlebnisse gebe ich hier gerne wieder.
1. Richtig feilschen
Schlaftrunken torkle ich über den Bazar. Um mich herum Touristen, die Fotos von Souvenirs machen und sich nach den höchsten Regeln der Kunst ausnehmen lassen. Mich selbst lässt das glitzernde Klimbim relativ kalt, habe ich doch in Saudi Arabien bereits mein Einkaufskontingent für diese Reise erschöpft. Doch dann fällt mein Blick auf die wunderschönen Iznik-Fliesen: Weiß, mit blauer Bemalung, wunderschön – und eine davon würde wohl wundervoll die Kaffeekanne ergänzen, die ich auf dem Souk in Riad erstanden habe. Wir erinnern uns: Dabei bin ich ordentlich über den Tisch gezogen worden.
Umso mehr gilt hier also: Richtig feilschen.
Ich frage den Händler also, wie viel er dafür haben will. „30 türkische Lira“, sagt er. Ich muss kichern – teils, weil Übermüdung den gleichen Effekt haben kann wie l eichte Alkoholisierung; teils, weil ich die gleiche Fliese in einem anderen Laden zuvor um drei Lira gesehen habe. Das sage ich ihm auch; und er erläutert mir, dass seine Fliese zwei Millimeter dicker ist und daher berechtigt 27 Lira (14 Euro!) mehr kostet. Mir ist die Dicke wurscht, ich nehm lieber die billige Fliese und frage ihn auch danach.
Er zeigt sie mir, aber hier gefällt mir das Design nicht. Ein paar kleine Details, die mir leider nicht zusagen. Ich frage ihn, ob er mein bevorzugtes Design auch in dünn und billig hat – Nein, leider nicht. Ich steh nun vor dem Dilemma: Billig und hässlich, oder völlig überteuert. Er merkt, dass ich zögere, will mir also fix die dicke Fliese andrehen: „How much you want to pay?“. „Five“, sage ich. Und bin mir sicher, dass er darauf eh nicht eingeht.
Er ächzt und stöhnt. Versucht, mich rauf zu handeln.
„Twenty-Five?“
„No. Five.“
„Twenty!“
„Five“
„Fifteen. Last price!“
Eigentlich will ich die blöde Fliese gar nicht mehr. Ich will nur noch weg. Also bleibe ich weiter unrealistisch: „Five“
„Okay, my, friend: Ten!“
Verdammt. Ich bin so übermüdet vom Flug dass ich fast im Stehen einschlafe. Kann der mich nicht endlich in Ruhe lassen?
„Okay“, er ächzt: „Five.“
In die Augen schaut er mir nicht mehr, als er die Ware einpackt. Er ist stinksauer. Ich wiederum bin froh, dass der Deal gelaufen ist und ich gehen kann.
Wer hätte gedacht, dass Müdigkeit gute Feilscher macht?
2. Englisch unterrichten
Wer sich als Händler keinen eigenen Laden leisten kann, muss seine Produkte auf offener Straße verkaufen. Im ungünstigsten Fall stehend. Einer dieser Männer spricht mich an, als ich auf dem Weg zwischen den beiden Bazaren unterwegs bin: „You want Skakkett?“
Ich frage mich, was das ist und schaue ihn an: Er verkauft Schals. Lächelnd zeige ich auf meinen Hals: hab leider schon einen, Geschenk von meiner Mama. „Scarf“, berichtige ich ihn.
Er kommt zu mir, und möchte es nun genau wissen: Wie heißt das? „Scarf“, wiederhole ich. Und wie man das schreibe? „C“, beginnt er fragend – ich entgegne: Nein, nein, das beginne mit einem „S“, und erst dann komme das „C“. Und wir machen gemeinsam weiter: Als nächstes das „A“, dann das „R“ und als krönender Abschluss das „F“. Er freut sich, dankt mir, wünscht mir allen Segen und viel Glück, und überhaupt nur das Beste. In der Überzeugung, diesem Menschen geholfen und seine Geschäftschancen deutlich gesteigert zu haben, gebe ich die Wünsche zurück, drehe mich um und gehe meines Weges.
Hinter mir höre ich ihn den nächsten Passanten ansprechen: „You want Skakkett?“
3. Weihnachten feiern
Meine zweite Heimat war für viele Jahre die Istiklal gewesen – gleich am Taksim-Platz gelegen, ist sie die beliebteste Einkaufsstraße der Stadt, quasi Istanbuls Version der Mariahilfer Straße. Dort tummeln sich die westlich-orientierten Türken zwischen modernen Boutiquen und Fastfood-Läden. Zwischendurch fährt eine nostalgische Straßenbahn und am Ende die „Tünel“ – eine unterirdische Bahn mit nur zwei Stationen, die es schon zu einer Zeit gab, als Istanbul von einem umfassenden Metro-Netz noch nicht mal zu träumen wagte.
Hier hat sich viel verändert seit ich das letzte Mal hier war, 2004. Noch mehr Kommerz, noch mehr Schickimicki. Alles noch eine gute Spur westlicher, moderner. Die Werbung für die Kulturhauptstadt 2010, die noch an manchen Geschäften prangt, wirkt da fast ein bisschen wie Ironie, denke ich mir. Doch dann zieht es mich plötzlich wie magisch auf die linke Straßenseite.
Ich stehe vor der katholischen Kirche an der Istiklal und merke, wie meine Füße fast eigenmächtig auf das pompöse Gebäude zugehen. Draußen scheint die Sonne, das Wetter ist frühlingshaft. Aber mich zieht es trotzdem ist das kalte, dunkle Gebäude. Und drinnen ist dann Ruhe; ich lasse mich nieder auf einer Bank, lausche – höre zum ersten Mal seit zwei Wochen an einem öffentlichen Ort Weihnachtsmusik. Denn in Saudia Arabien war diese ja verboten gewesen; und Weihnachten war dieses Jahr seltsam. Ich gehe in mich. Und meine Augen werden feucht: Das ist meine Christmette für dieses Jahr – alleine, ein paar Tage verspätet, in Istanbul. Das ist schön; auf seine ganz eigene Art und Weise.
Als ich schließlich, einige Stunden später, mit der Metro wieder Richtung Flughafen fahre, denke ich mir: Ich liebe diese Stadt; vor allem die Menschen, die in ihr wohnen. Istanbul ist für mich jahrelang Heimat und Fremde in einem gewesen. Und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Ich freue mich bereits auf ein Wiedersehen.
1 Kommentar
Super, ich kann den Herrn Mey gut verstehen und seine Gefühle nachvollziehen. Die stadt und die Menschen ernaehren sich gegenseitig und pausenlos. Danke für das Mitteilen!